Love City statt Smart City: Der Wertewandel ist in vollem Gange.
Die Vision einer hochtechnisierten Stadt. Von Verkehrsströmen bis Energieversorgung: Metropolen in aller Welt arbeiten daran, mit digitalen Technologien auf entscheidenden Zukunftsfeldern voranzukommen. Städteplanung und Hightech: Diese innovationsgetriebene Verbindung wird das Herz der Menschen erobern. Oder etwa nicht?
Die von SHIFT Mobility und pressrelations initiierte Studie „MIND-SHIFT: A Compendium on Future Mobility, Circularity and New Urbanism” kommt zu anderen Erkenntnissen. Gemessen an der Medienresonanz hat demnach die lebenswerte Stadt als Paradigma das bislang dominierende Zukunftskonzept der Smart City nahezu eingeholt. Die Menschen wollen also keine „kalte“ Hightech-Stadt. Was stattdessen eine „Love City“ ausmacht?
Divers, inklusiv, klimaresilient, grün und verkehrsberuhigt muss sie sein – und darüber hinaus kurze Wege und eine hohe Kiezqualität bieten. Der dänische Architekt und Stadtplaner Jan Gel, der auch Professor an der Königlichen Dänischen Kunstakademie war, drückt es so aus: „Eine nachhaltige Stadt ist vor allem eine menschenfreundliche Stadt.“ Getreu dieser Maxime verfolgte Gel mit seinen Visionen zur städtebaulichen Infrastruktur schon seit vielen Jahren das Ziel, die Lebensqualität der Menschen zu verbessern – und war damit seiner Zeit voraus. Insbesondere die Bedürfnisse von Fußgängern, Radfahrern, Senioren und Familien standen in seiner Arbeit im Fokus. Sein wohl bekanntestes „Werk“: Er machte Kopenhagen zur fahrradfreundlichsten Stadt der Welt.
Die Gegenwart gibt dem Visionär Jan Gehl nun Recht. Das Handelsblatt schrieb 2021 zu diesem Thema: „Die Stadt der Zukunft ist ökologisch nachhaltig, um in allen Stadtvierteln eine hohe Lebensqualität zu bieten.“ Im Umkehrschluss bedeutet das: Tut sie das nicht, zieht es die Städter dorthin, wo sie ihre Natursehnsucht stillen können. Hinaus aufs Land. In die Vororte. Dort, wo die Welt „noch in Ordnung“ ist. Auch Star-Architekt Kengo Kuma ist dieser Meinung und spricht ebenfalls im Handelsblatt davon, dass „wir von den Städten zur Natur zurückkehren, weil uns das Leben in den Metropolen kein Glück verschafft.“
Fakt ist: Die Stadtflucht hat bereits seit mehreren Jahren Fahrt aufgenommen. 2014 war der Wanderungssaldo in den sieben größten deutschen Städten erstmals seit 20 Jahren negativ. Selbst die Megacity New York hat im ersten Corona-Jahr 5 Prozent ihrer Einwohner ans Umland verloren. Stichwort „Pandemie“: Diese Zeit haben Menschen ohnehin verstärkt dafür genutzt, ihr Lebens- und Berufsmodell kritisch zu hinterfragen und hybride Arbeitsweisen für sich zu entdecken. Am gleichen Ort wohnen, wo gearbeitet wird: Diese jahrzehntelang gültige Maxime hat ausgedient und dynamisiert zusätzlich den Trend zur Stadtflucht, die laut einer aktuellen Studie unseres diesjährigen Partners ZIA (Zentraler Immobilien-Ausschusses) Corona überdauern wird. Mehr Platz, mehr Ruhe, bezahlbarerer Wohnraum, mehr Grün – diese Kombination wissen immer mehr Menschen zu schätzen.
Was können Städte tun, um diesem Trend entgegenzutreten? Die Antwort ist ebenso einfach wie herausfordernd: Metropolen müssen (wieder) zu einem lebenswerten Habitat werden. Sebastian Gallander, Harvard-Absolvent und Dozent der Hertie School of Government drückt es so aus: „Wir müssen das Dorf zurück in die City holen“. Die Anfänge sind gemacht: unter anderem mit der „15-Minuten-Stadt“ in Paris, den Superblocks von Barcelona, dem Gender Planning in Wien, den „low-traffic neighbourhoods” in UK. Bis 2030 soll es autofreie Innenstädte in Kopenhagen, Hannover und Amsterdam geben.
Das entscheidende Learning dabei lautet: Smart City und Love City müssen künftig stärker miteinander verzahnt werden. Smarte Städte, vollgepackt mit Daten und Sensoren aller Art, können zum Beispiel einen großen Beitrag leisten, um den Verkehr besser zu steuern und – wie in Hamburg bereits praktiziert – Radlern den Vorrang geben. Auch in puncto Klimaresilienz sind datengesteuerte Systeme in der Lage, wichtige Mehrwerte zu liefern: Messungen von Luftqualität, Regenmengen und Temperaturen könnten automatisierte Maßnahmen gegen Verschmutzung und Extremwetter einleiten. Ein konkretes Beispiel: Per App gesteuerte Straßenbeläge nehmen Regen auf, um ihn dann in Hitzephasen wieder abzugeben. Gerade die Herausforderung der Überhitzung darf hier angesichts des voranschreitenden Klimawandels nicht unterschätzt werden. Nicht ohne Grund hat Athen mit Eleni Myrivili den ersten Chief Heat Officer Europas und Wien plant ein Fernkältenetz.
Fazit: Auch Smart Cities können zu Love Cities werden – wenn digitale Maßnahmen global gültigen Anforderungen und gleichzeitig den konkreten (neuen) Bedürfnissen des Menschen gerecht werden. Oder wie es Jan Gel sagen würde: „Eine Stadt ist dann lebenswert, wenn sie das menschliche Maß respektiert“.