Dr. Andreas Mattner im HEY/HAMBURG Interview: „Die Stadt der kurzen Wege minimiert Transporte von Menschen und Waren.“

Was Immobilien mit Mobilität zu tun haben – darüber haben wir mit Dr. Andreas Mattner gesprochen. Er ist Präsident des ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss e.V., zudem Geschäftsführer diverser Gesellschaften der ECE Group, Vorsitzender des Nachhaltigkeitsbeirates der ECE sowie Präsidiumsmitglied des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). Damit eine Mobilitätswende hin zu mehr Nachhaltigkeit gelingen kann, ist auch ein perfektes Zusammenspiel von Immobilienwirtschaft, Stadtplanung und Quartiersentwicklung notwendig. Die Interdependenzen sind größer, als man zunächst vermutet.

Wie definieren Sie Mobilität? Was bedeutet Mobilität für Sie bzw. für Ihr Unternehmen?
Vordergründig geht es bei Mobilität um die Veränderung des Ortes, die Überwindung räumlicher Distanzen und das berühmte „von a nach b“. Da ist es fast schon ironisch, dass ausgerechnet der Verband, dessen Präsident ich bin, der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA), dem Wortsinn nach fürs Unbewegliche steht. „Immobilie“ wurde im 18. Jahrhundert vom mittellateinischen immobilia / res immobiles als Bezeichnung für „unbewegliche Dinge“ entlehnt. Die Sprache täuscht. Denn wenn es um „mentale Mobilität“ geht, um Bereitschaft zur Beweglichkeit, dann sind wir vorn dabei. 

ZIA-Mitglieder beweisen das permanent – sei es durch entschiedene Antworten auf den Klimawandel, sei es als Treiber der Digitalisierung. Gerade bei diesen Giga-Projekten verfolgen Akteure der „klassischen Mobilität“ und der Immobilienwirtschaft oft dieselben Ziele.

Insofern ist es ein stimmiges Signal, dass der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA) in diesem Jahr Partner von HEY/HAMBURG ist.

Was ist für Sie die größte Herausforderung der Mobilitätswende? Wie kann sie bewältigt werden?
Ein guter Zusammenklang von nachhaltiger Mobilität und passgenauen Angeboten der Immobilienwirtschaft ist ein Schlüsselthema. Die Corona-Krise hat sich da als Innovationsbeschleuniger erwiesen: Leerstand und Geschäftsschließungen waren auch vorher zu beobachten, doch zunehmend zeigt sich eine neue Flexibilität, die einen Mehrwert verspricht. Mixed-Use-Immobilien mit Angeboten aus Handel, Wohnen, Büro, Handwerk und Kultur treiben eine moderne Stadtentwicklung an. 

Damit Quartiere der neuen Art dauerhaft Anziehungskraft haben, braucht es attraktive Angebote für Fußgänger und Radfahrer. Der Individual- und Wirtschaftsverkehr wird Zug um Zug auf Klimaneutralität umgestellt, ohne dass er komplett verschwinden muss. Angesichts des veränderten Nutzungs-Mixes müssen neue Mobilitätskonzepte erstellt werden. Ein passgenauer Ausbau des ÖPNV ist dabei oft ein entscheidender Faktor. 

Der Trend geht in die richtige Richtung. Die „Stadt der kurzen Wege“ verspricht ein Minimieren der „Transportleistungen“ von Menschen und Waren. Ein hoher Anteil an Wohnraum wird ergänzt durch breite Angebote für den Alltag. Im Idealfall sind neben Einzelhandel, Gastronomie, Arztpraxen, Büros oder kleineren Handwerksbetrieben auch Kita und Schulen vor Ort. Dieses Zusammenrücken bietet zugleich einen guten Rahmen für digitale Zukunftstechnologien. Denn erst die digitale Vernetzung ermöglicht eine optimal verzahnte Quartiersentwicklung – von der Stadtplanung bis zur Verkehrssteuerung. Diese Innovationen sind ein entscheidender Hebel, um gemeinsam CO2-Neutralität im Quartier zu erreichen.

Worin bestehen die größten Mobilitäts-Herausforderungen für Ihre Branche?
Die Bundesregierung will Deutschland bis 2030 mit 15 Millionen Elektroautos zum globalen Leitmarkt für Elektromobilität zu machen. Bis 2030 soll es mindestens eine Million öffentlich zugänglicher Ladepunkte geben.

Der Handel leistet mit der Bereitstellung von Ladesäulen auf seinen öffentlichen Parkflächen schon heute einen starken Beitrag für eine flächendeckende Ladeinfrastruktur und nutzt dies als Instrument zur Kundenbindung. Der Lebensmitteleinzelhandel bietet zu 72,2 Prozent Lademöglichkeiten an, weitere 22,2 Prozent sind geplant. Auch Baumärkte, Möbel- und Warenhäuser legen bei den Ladestationen stetig zu. 

Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge ist auch bei Wohnimmobilien ein wichtiges Ausstattungsmerkmal. Nur: Hohe Ausbauverpflichtungen bedeuten eine weitere Verteuerung. Und diese Kosten dürfen nicht allein dem Gebäudesektor angelastet werden. Es wäre nur fair, wenn sich Automobilindustrie, Batteriehersteller, Netzbetreiber und Stromversorger beteiligten, da sie die „Produkte“ verkaufen, die diese Infrastruktur benötigen. 

Eine besondere Herausforderung: Wir müssen es auch schaffen, in großem Rahmen Ladeinfrastruktur für Bestandsgebäude bereitzustellen. Das ist eine enorme Aufgabe. Denn es braucht eine ausreichende Menge an Energie und eine aufwendige Verkabelung. Wer neue Garagen baut, muss ohnehin Leitungen ziehen. Für alle aber, die diese Aufgabe im Nachhinein angehen, wird Umrüsten extrem teuer. Deshalb ist es auch absolut richtig, dass es hier Subventionsprogramme der EU und auch Förder-Möglichkeiten in Deutschland gibt.

Welche Mobility Best Cases beeindrucken Sie gerade ganz besonders und warum?
Der Start des autonomen Busses in der HafenCity Hamburg war eine tolle Sache. Und der zweijährige Feldversuch hat gezeigt: Hier geht noch mehr. Als nächstes will die Hamburger Hochbahn zusammen mit dem Technologiekonzern ZF Friedrichshafen den Regelbetrieb für den Alltag angehen. Ein echter Schub für Mobilität im 21. Jahrhundert.

Bei Gewerbeimmobilien gibt es in vielen Städten spannende Entwicklungen im größeren Stil.  Für stark frequentierte Immobilien bringt die neue Verkehrswelt deutliche Veränderungen: mehr Car-Sharing, weniger Parkraum-Bedarf. Das eröffnet interessante Möglichkeiten für Handels- und Bürogebäuden. Stichwort: Nachverdichtung. Wo gestern noch ein Parkplatz war, entsteht heute wertvoller Wohnraum. Bundesbauministerin Klara Geywitz will möglichst verhindern, dass neue Flächen versiegelt werden – hier gibt es viel Potenzial.

Wo steht Ihre Branche in puncto Mobilität in 5 Jahren?
Die unsichere Weltlage erschwert leider präzise Vorhersagen. Zur Klimakrise und der Corona-Krisen kam mit dem Krieg in der Ukraine eine große internationale Bedrohung, deren Dauer und deren Ausmaß keiner seriös abschätzen kann. Nur drei Stichwörter: verschärfte Lieferengpässe, Preis- und Zinssteigerungen.  

Ich kann bei alledem aber sagen, wo wir stehen wollen: Der ZIA möchte als Motor im Kampf gegen den Klimawandel entscheidende Etappen zurückgelegt haben. Im Zusammenwirken mit den Akteuren nachhaltiger Mobilität sind hier weitere Erfolge machbar.  Vieles, was heute innovativ ist, sollte dann Routine sein. Ich denke, bald wird sich noch deutlicher zeigen, dass nutzungsgemischte Quartiere oft langfristig wirtschaftlich robuster sind. „Wege entstehen dadurch, dass man sie geht“, hat Erich Kästner einmal gesagt. Gemeinsam, im Schulterschluss mit führenden Köpfen aus anderen Sektoren, ist da sicher noch mehr möglich..

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