Prof. Phillip Goltermann im HEY/HAMBURG Interview: „Wir werden Immobilien künftig viel resilienter planen müssen.“

Im Rahmen unserer Interviewreihe haben wir mit Prof. Phillip Goltermann, Partner der Drees & Sommer SE, gesprochen. Für ihn steht fest: Die Immobilienbranche muss in Zukunft auf eine stärkere Resilienz setzen und dafür vernetzt denken und agieren.  

Wie definieren Sie Mobilität? Was bedeutet Mobilität für Sie bzw. für Ihr Unternehmen? 
Mobilität bedeutet für mich von A nach B zu kommen, also die Verbindung von zwei Orten. Sie ist daher kein Selbstzweck für die Bewegung an sich, sondern verfolgt immer ein konkretes Ziel. Mit Immobilien schaffen wir dabei Fixpunkte, die aus sich selbst heraus zwar nicht beweglich sind, aber dennoch wichtige Voraussetzungen für funktionierende Mobilität im Leben schaffen können. Als Immobilienbranche tragen wir hier also eine große Verantwortung.      

Was ist für Sie die größte Herausforderung der Mobilitätswende? Wie kann sie bewältigt werden?
Die größte Herausforderung liegt für mich in uns Menschen selbst. Wir sind vom Grundsatz her eher veränderungsscheu. Alles Neue ist zunächst einmal ein theoretischer Angang, dem wir gerade in Deutschland meist skeptisch gegenübertreten. Mobilitätsmacher müssen daher von Erfolgsmodellen lernen. Wo und warum hat etwas gut funktioniert? Warum würde ein neues Mobilitätsangebot von den Menschen angenommen? Aus den Antworten sollten wir lernen und die richtigen Rückschlüsse für die Zukunft ziehen. Auch Sichtbarkeit ist dabei aus meiner Sicht ein wichtiger Faktor. Ein Angebot wie MOIA wird wahrgenommen, darüber spricht man, tauscht sich aus. Je mehr die Menschen mit neuer Mobilität spür- und erlebbar in Berührung kommen, desto mehr werden sie sich auch dafür öffnen. Mit reinen Verboten werden wir da aus meiner Sicht nicht weit kommen. Veränderung beginnt im Inneren. Für einen Verhaltensmusterwechsel muss deshalb ein Wertewandel her – und dieser hat ja auch schon bereits in großen Teilen innerhalb der Gesellschaft begonnen.        

Worin bestehen die größten Mobilitäts-Herausforderungen für Ihre Branche?
Das liegt auf der Hand: Eine Immobilie ist für 80 Jahre und mehr gebaut. Durch die immer stärkere Verknüpfung mit anderen Sektoren und deren Technologien müssen wir unterschiedlichste Innovationszyklen quasi „vordenken“. Anders gesagt: Wir werden Immobilien künftig viel resilienter planen müssen und dafür gemeinsam mit der Öffentlichen Hand wichtige Fragen beantworten. Wie schaffen wir es zum Beispiel, die Energie mit Intelligenten Netzen zu den Autos zu tragen bzw. umgekehrt? Wie können wir Immobilien und Autos zum Energie-Distributor machen, zum festen Teil des Energienetzes? Wenn in 10 Jahren nahezu jeder ein E-Auto fährt, wie müssen dann heute Mehrfamilienhäuser erdacht und gebaut werden? Die gute Nachricht ist: Die Technik für all das haben wir. Auch die Konzepte liegen bereits auf dem Tisch. Allerdings muss noch einiges an Rechtsfragen geklärt werden und auch die Versorgerseite muss mitziehen. Alle müssen dafür an einem Strang ziehen und vernetzt agieren.

Welche Mobility Best Cases beeindrucken Sie gerade ganz besonders und warum? 
Mich beeindrucken manchmal schon die ganz kleinen Dinge. Wenn ich in Echtzeit nachverfolgen kann, wo sich mein bestelltes Taxi gerade befindet zum Beispiel. Oder wenn eine Stadt wie Hamburg alle Mobilitäts-Anbieter von Bahn- bis Cityticket in einer App verbinden wird. Das ist konsequent vom Nutzer bzw. Menschen gedacht und das gefällt mir. Ansonsten begeistern mich funktionierende Konzepte von autofreien Innenstädten. Schon seit über 20 Jahren ist das zum Beispiel in der spanischen Stadt Pontevedra der Fall. Dort gibt es keine Fahrstreifen, keine Verkehrszeichen, keine Ampeln und die einzigen Autos, die fahren dürfen sind Anwohner-PKWs, Lieferfahrzeuge und der öffentliche Nahverkehr. Stattdessen gilt die einfache Regel: Fußgänger vor Fahrradfahrern vor motorisierten Fahrzeugen. Und es funktioniert. So einfach kann Mobilität sein.   

Wo steht Ihre Branche/Ihr Unternehmen in puncto Mobilität in 5 Jahren?
Für Drees und Sommer wird es dann kein einziges Immobilienprojekt mehr ohne maßgeschneidertes Mobilitätskonzept geben. Und unsere Dienstwagen werden alle Vollstromer sein – und beides ist auch gut so. Insgesamt wird unsere Branche das Thema „Mobilität“ noch mehr als gemeinsame Wachstumschance begreifen lernen. Mobilität hat uns als Menschheit schon immer wachsen und reifen lassen, hat den Fortschritt beschleunigt. Dies sollten wir uns bewusster machen und mehr als Triebfeder für die Zukunft begreifen. Darin liegt die große Chance – und nicht darin, Verbote auszusprechen, gegen die sich als erste Reaktion zunächst oft aufgelehnt wird. Ein einfaches Beispiel: Die Menschen haben angefangen, Handys zu verwenden, weil es bequemer war. Und nicht, weil Festnetz-Telefonie plötzlich verboten wurde. So muss es auch bei Mobilitätsangeboten sein. 

HEY/HAMBURG und Hamburg als Stadt vereint wie keine andere die Mobilität zu Lande
(Straße und Schiene), zu Wasser und in der Luft. Welche Erwartungen haben Sie an die Veranstaltung und den Diskurs?
Wie schon gesagt: Mobilitätslösungen gehen nur miteinander. „Mein USP ... mein Wachstum“: Mit dieser Denke werden wir auf Dauer nicht weiterkommen. Ganz in diesem Sinne erhoffe ich mir von der Veranstaltung, dass jeder aus seinem Schema rauskommt und über den Tellerrand blickt, um zu entdecken, woran das Mobility Eco System gerade arbeitet. HEY/HAMBURG kann da für jeden wichtige Impulse setzen. Für neue gemeinsame Standard-Definitionen. Für zukunftsweisende Kooperationen. Mobilität verbindet schließlich uns alle und dafür benötigen wir auch ein starkes „Wir“.  

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